Kein Weg mehr zurück ans Wasser.
Monat: März 2017
Von See und Gras
GedichteMan müsste den Orten das Eigene lassen:
Es war mein See (ich fand ihn vor Zeiten unter einem herrlichen Sonnenaufgang).
Es war unser See (wir liebten uns an seinem Ufer, bis uns die Sinne schwanden).
Jetzt wächst ein neues Gras an seiner stillen Küste,
das nicht den Abdruck unserer Körper kennt.
Doch das Gras kümmert es nicht.
Und der geheime See trägt wie immer
funkelnde Wellen im Mittagslicht.
Der See, dessen Wasser so klar ist (du siehst Muscheln und Krebse am Grund).
Der See, auf dessen Böschung (sehr nahe der Kante) ein verlassenes Vogelei liegt.
Um das niemand ein schützendes Nest hat gebaut.
Doch den See kümmert es nicht.
Was war, verblasst.
Ich lasse dem Ort das Eigene
Und er ist wie immer zuvor.
Ziellos vergnügt
FotosMan müsste den gaukelnden Flug eines Schmetterlings einfangen können. Diese wackelige Anmut. Diese scheinbar ziellos vergnügte Fortbewegung in warmer Sommerluft. Wenn die Tage und Gedanken besonders grau sind, muss man Schmetterlinge bewundern gehen. Vielleicht in warmen Tropenhäusern. Ich glaube, es ist unmöglich betrübt zu sein, wenn man einem Schmetterling beim Fliegen zusieht.
Ein Tag, der am Fluss beginnt
Fotos, MiniaturenWenn der Tag anbricht, muss man unten am Fluss sein. Sein Wasser träumt keine Träume, wünscht keine Wünsche. Es fließt. Gemächlich. Unaufhörlich. Und Nebel tanzen darüber hin. Nun kann alles werden. Alles ist möglich an einem Tag, der am Fluss beginnt.
(Fotos: Sandra Blume/Poeta – die Bilder sind unbearbeitet. Es sah genauso aus heute morgen an der Werra)
HERZWEISE
GedichteSchon die Anfrage vor einigen Wochen war eine wunderbare Überraschung: Im Herbst dieses Jahres wird im Münchner Verlag in der Lindenstraße eine Anthologie, unter anderem mit 20 Gedichten von mir, erscheinen. Heute kam der Verlagskatalog mit der Ankündigung heraus. Ich freue mich sehr, sehr – auch über die äußerst gelungene Gestaltung des Buches. Die Blogs der anderen Autoren zu besuchen, kann ich nur empfehlen – da ist sehr gute Lyrik zu entdecken! Ich habe nun die Qual der Wahl, mich für 20 Gedichte entscheiden zu müssen…
Abends
GedichteEs gibt unzählige Arten von Stille
Und wie sie die Räume am Abend durchmisst.
Ich liebe die Stille,
Wenn die Nacht und ich
Uns gelassen ineinanderfalten –
Lesend, Schreibend,
Kein Geräusch vermissend.
Stille,
Die summend
In meinen Adern rauscht;
In der jeder Gedanke
wie ein Abdruck haften bleibt.
Bis der Regen einsetzt und
An die Dachfenster trommelt,
Als ob er um Einlass bäte.
Dann strecke ich Worte wie Hände aus
Und werde gehalten.
Märzglöckchen
FotosAllerliebste Märzglöckchen habe ich heute im Hainich-Urwald gefunden. Ganze Teppiche haben sich unter den noch lichten Buchen ausgebreitet. Und ja, ich weiß, es sind eigentlich MärzenBECHER. Aber sie sehen doch vielmehr wie Glöckchen und nicht wie Becher aus, finde ich. Und dann entdecke ich – über die Glöckchen-oder-Becher-Frage nachgrübelnd – bei Wikipedia, dass der Name Märzglöckchen ebenfalls richtig ist. Und weil es im Märzglöckchen-Hain sitzend so schön ist, über Blumennamen nachzudenken, habe ich auch gleich das Schneeglöckchen nachgesehen. Und hach, welch reiche Namensbeute! Man nennt das Schneeglöckchen auch: Hübsches Februar-Mädchen, Lichtmess-Glöckchen, Märzveilchen, Marienkerze, Milchblume, Schnee-Durchstecher, Schneetulpe, Weiße Jungfrau oder Weißglatze.
Ich freue mich also künftig auf hübsche „Februar-Mädchen“, wenn im Januar die ersten grünen Spitzen im Garten das alte Laub durchbrechen.
Nebelwald
FotosEigentlich hatte ich auf mehr Sonne gehofft. Und auf Märzenbecher. Gefunden habe ich stattdessen einen mystischen Nebelwald. Morgens um kurz nach sieben am Rennsteig.
Dorfsonntag
GedichteSonntagsruhe über dem Dorf.
Vereinsamt die krummen Gassen,
In denen neidisch enge Giebel
Nach ihren Nachbarn schielen.
Ein schwerer Himmel ist darüber aufgehängt,
Den selbst der Pfarrer nicht zu heben weiß.
Und ohne Wunder ging auch diesmal seine Predigt
Vorüber an der Handvoll Leutchen
In ihrer immer gleichen Bank.
Nur auf dem kleinen Kirchhof,
Mit den im Wettbewerb gepflegten Gräbern,
Ist Leben:
Unterm alten Eibisch leuchten Winterlinge
Wie kleine Sommer auf.
Herab vom buckligen Kapellendach
Ruft sehnsuchtsvoll die Ringeltaube
Nach ihrem neuen Liebsten.
abc.etüden für L. – zuhause
Prosatext & visuals hat mich letzte Woche um ein Wortgeschenk gebeten. Drei Wörter meiner Wahl für die abc.etüden. ATEM, FRAGMENT und UFERLOS habe ich ins Päckchen gesteckt und losgesendet. Inzwischen gibt es hier eine ganze Reihe toller Texte von verschiedenen Autoren mit den drei Worten. Hier kommt mein Versuch:
Zuhause
Mit schwerem Atem geht der Wind ums Haus. Und wipfelwogend tanzen am Feldsaum entlang die kahlen Birken. Sie könnte nach draußen gehen und mittanzen. Sie könnte sich in den Sturm werfen, der das Haar durcheinander bringt und die Gedanken darunter. Aber man kann auch, denkt sie, sitzen bleiben, am Fenster.
Licht und Schatten eilen mit den Wolken vorbei, Fragmente am weißblauen Himmel.
Die Stille im Raum dehnt sich aus, bis der Wind keuchend in den Schornstein fällt und mit den alten Dachpfannen klappert. Wie kostbar, zuhause geborgen zu sein. Uferlos war sie in den Wassern grauer Gedanken getrieben. Beinahe sich selbst verlierend. Nun hat sie sich gefangen im Netz von Liebe und Wörtern. „Auf ein Neues!“, lächelt sie dem fallenden Regen zu.