Found place – Schloss Reinhardsbrunn

Fotos

Am Wochenende habe ich wieder einen scheinbar verlorenen, einen sich allmählich verlierenden Ort gefunden. Kloster Reinhardsbrunn war einst die Grablege der Thüringer Landgrafen. Das auf den Resten des Klosters entstandene neogotische Schloss aus dem 18. Jahrhundert beherbergte viele berühmte Häupter – unter anderem mehrmals Königin Victoria. Leider geriet es nach der Wende zum Spekulationsobjekt und steht seit 2004 leer. Zum Schutz vor Vandalismus sind die Tore von Schloss und Park seit einigen Jahren fest verriegelt und öffnen sich nur zu gelegentlichen Führungen. Das leise verfallende Schloss zu sehen, war ein berührendes Erlebnis, das mich gleichermaßen verzückt und traurig gemacht hat. Aber es gibt noch Hoffnung für das Objekt: seit Frühjahr dieses Jahres läuft das Enteignungsverfahren und Thüringen betritt juristisches Neuland, um das Schloss zu retten.


Fotos: Sandra Blume

Von Händen, die Dinge bewahren

Fotos, Reisetagebuch

Es gibt Orte, die beinahe verloren gingen. Bis einer sie fand. Gefundene Orte, Found places wenn man so will, deren Verfall und Vergehen jemand Einhalt gebot. Schloss Herrenbreitungen, unter dem die Werra entlang glitzert, ist so ein Ort. Ich habe solche Hände, sagt der Schlossherr – als wir zum Sonnenuntergang in der westlichen Küche des Südflügels sitzen – die ziehen alte Dinge magisch an. Die Dinge kommen zu mir, damit ich sie bewahre. Nun bewahrt er ein ganzes Schloss. Und es ist voll von geschichtenerzählenden, alten Dingen. Wie das prallvolle Konservenregal, unten im Gewölbekeller. Dort steht Weckobst, über 50 Jahre schon im Glas, das aus der Haushaltsauflösung eines Bekannten stammt. Das konnte man doch nicht einfach wegwerfen. Was einst fleißige Hausfrauenhände liebevoll gepflückt, geputzt, geschnippelt und eingekocht hatten, darf nun in Würde verstauben und Besucher wie mich zurück in Kindertage und Großmutters Vorratskeller entführen.
Auch im sanierten Südflügel, wo die Hotelgäste in zauberhaften Gemächern residieren, findet man überall diese sanft glänzenden, alten Dinge. Auf Tischchen und Schränkchen, auf Treppensimsen, in Mauernischen und Bogenfenstern. Beinahe wie zufällig stehen sie da und sind doch mit Konzept drapiert – zumindest bis die Putzfrau durchkommt und ihren Plastikeimer dazwischen stellt. Beschwert sich schmunzelnd der Schlossherr. Eben hat er mir im letzten Abendlicht den noch weitgehend unsanierten Fürstenflügel gezeigt. Dort bin ich im letzten Sommer schon einmal heimlich herumgeschlichen. Als ich Gast war auf einer der zahlreichen Hochzeiten, die das Schloss an den Wochenenden mit Musik, Leben und Liebe füllen. Und da habe auch ich mich verliebt in dieses alte Gemäuer, das alten Dingen ein Zuhause gibt. Und sich trotz wachsender Wirtschaftlichkeit diesen Zauber des Unvollendeten, der sich im Stein erzählenden Geschichten, augenfällig bewahrt hat. Im Fürstenflügel waren nach dem Krieg Familien Heimatvertriebener untergebracht. An den Türen, von denen die Farbe blättert, stehen noch immer ihre mit Kreide angeschriebenen Familiennamen. Im blauen Turmzimmer, vor dessen Fenstern die Dohlen lärmen und wo der Putz von den Wänden platzt, würde der Schlossherr irgendwann gern selbst wohnen. Das ist ein Blau, sagt er, das findet man in keinem Baumarkt.
Das zarte Pastell erinnert mich an Vergissmeinnicht oder an glücklich verliebte Sommertage, als ich getanzt habe, drüben im Festsaal, über diesen alten, eingesunkenen Holzboden, auf dem die Möbel Seegang haben.
Vor dem Westfenster der Küche versinkt die Sonne langsam hinter der Werra im Wald. Der Schlossherr singt eine alte Weise dazu. Einfach so.
Ich betrachte seine Hände, die ein Schloss halten und tausend Geschichten dazu. Einfach so.

Der Leipziger Kunsthändler Martin Koenitz kaufte 2007 Schloss Herrenbreitungen, dass er Stein für Stein behutsam zu neuem Leben erweckt. Wer dort Feiern oder Übernachten möchte, findet unter www.schloss-breitungen.de alles Wissenswerte.
Text & Fotos: Sandra Blume, Mai 2017

Hautsee

Gedichte
Lost place,
denke ich,
am See meiner Kindheit,
den die Brennesseln belagern
und die gefallenen Baumriesen,
schlafend unterm Moos.
Dort ist der kleine Sandstrand
unsichtbar geworden,
an dem ich zehenbohrend stand
und nicht ins Wasser durfte:
Deine Lippen, Kind, sind noch ganz blau.
Gegenüber war die sagenumwobene, schwimmende Insel,
die inzwischen unterging
in verlandenden Ufern
oder verschwand,
wie das Land, aus dem ich kam.
Der Wald rückte vor
und unsere Wiese eifriger Spiele
überranken nun dornige Lianen –
undurchdringliches Dickicht.
Stimmen und Gelächter hängen
wie vergessene Echos
im Astwerk.
Verloren gegangener Ort.

Kein Weg mehr zurück ans Wasser.

Der Hautsee bei Dönges ist ein kleiner See, der vor Jahrhunderten durch einen Erdfall enstand. Eine natürliche Insel aus Torf mit Moorbirken darauf – die wie Haut auf der Milch an der Seeoberfläche schwimmt – macht ihn in ganz Thüringen einzigartig. Ich habe dort als Kind schwimmen gelernt. Der See erschien mir damals um ein vielfaches größer. Inzwischen ist er ein Naturdenkmal. Wo früher die Liegewiese der Badenden war, ist er wie ein Dornröschenschloss umwuchert.