DER FUCHS – oder vom Vertrautwerden

Fotos, Prosa

Bitte zähme mich, sagt der Fuchs zum kleinen Prinzen und lehrt ihn, dass es Geduld braucht und Behutsamkeit, sich jemanden vertraut zu machen. Und dass man verantwortlich ist, für das, was man gezähmt hat.
Es gab eine Reihe versuchter, gescheiterter und geglückter Zähmungen in meinem Leben …
Nun gibt es einen Fuchs. Ich habe ihn nicht gezähmt, aber ihn mir vertraut gemacht. Ihn an meinen Geruch gewöhnt und an das Klicken der Kamera – so lange ich nicht zu nahe sitze. Was zunächst als Entdeckungsreise mit meiner Tochter begann, hatte mich zusehends gepackt: Versteckt im hohen Gras hatten wir uns, barfuss und gegen den Wind, bis auf wenige Meter herangeschlichen an den Fuchsbau und konnten für einige Minuten zwei Jungfüchse beim Spielen beobachten. Als ich mich zum Fotografieren aufrichtete, knurrte die Fähe und beorderte ihre Jungen mit einem heiseren Bellen zurück in den Bau.

Auch am nächsten Tag war der kleine Fuchs wieder schneller als meine Kamera. Er saß am oberen Ausgang des Fuchsbaus zwischen den Brennesseln und hatte mich viel früher entdeckt als ich ihn. Vermutlich hatte er sich köstlich über meine indianischen Anpirschversuche amüsiert. Wir haben uns aufmerksam eine Weile angesehen, der Fuchs und ich, dann ist er weggehuscht. Die Kamera hatte ich nicht einmal angehoben. Ich habe mich dann still eine Weile ins Gras gekauert, bis ich sah, dass er aus dem unteren Eingang des Baues herausblickte: aufmerksam und in Richtung meines Versteckes. In diesem Moment kam die kleine Blume über die Wiese geschlendert, die über den Gräsern und spannenden Insekten weit zurück geblieben war, mich aus den Augen verloren und die Sache mit der Fuchspirsch unterdessen vergessen hatte. „Da bist du ja Mama!“ rief sie erleichtert, als sie mich entdeckte. Ich hätte schwören können, dass mich der junge Fuchs fast ein bisschen mitleidig ansah, bevor er endgültig im Bau verschwand.
Nun aber war mein Ehrgeiz geweckt. Es musste doch möglich sein, ein Foto zu machen. Ich probierte es am Mittag und am Nachmittag, am Abend und am nächsten Tag. Langsam kannte ich alle Fuchswege im Eichenhain und lief auf ihnen durch die hohen Brennesseln, durch Wiese und Wäldchen. Allmählich konnte ich die Jungfüchse unterscheiden. Ich fand ein besseres Versteck zwischen Klettkraut, Holunder und einem alten Kirschbaum – unweit vom Fuchsspielplatz entfernt. Ich wartete geduldig. Ich zählte die Ameisen am Baumstamm und die Blattläuse auf dem Holunderzweig. Ich horchte auf die Wildtauben und beobachtete das Falkenpaar, das in den Eichenwipfeln hauste. Und dann kam mein Fuchs aus dem Bau geschnürt. Die Nase keck erhoben, schnupperte er einmal um den Spielplatz – bis er mich gefunden hatte. Und er verschwand nicht, sondern ließ mich – mir in die Kamera blickend – dieses Mal Fotos machen. Die Gunst währte nicht lange, dann huschte er zurück in den Bau und kam mit seinen Brüdern wieder herausgejagt. Sie flitzen über die Wiese, unterm Holunder hindurch zum oberen Fluchttunnel hinein und unten aus dem Bau wieder hinaus. Das ging so eine ganze Weile.
Dann kam der Moment, an dem ich übermütig beschloss, mich noch ein Stück den Hang hinauf zu wagen, mich direkt am Tunnelausgang hinter einem Holunderbusch niederzulassen und auf ein spektakuläres Foto Auge und in Auge mit meinem Fuchs zu warten. Und ich wartete lange. Doch die Füchse blieben an diesem Tag verschwunden, ich war ihnen zu nahe gekommen.

Text & Fotos Sandra Blume, Mai 2017

Makromanie

Fotos

Ich wollte gern etwas näher heran. So nah, dass ich mit der Nasenspitze fast die feinen Häarchen am Mohn berühre. Dass ich den winzigen Tautropfen am Grashalm einfangen kann und wie sich das Licht der Morgensonne darin bricht. So nah kann mein Objektiv nicht! Habe ich kürzlich einem befreundeten Fotografen mein Leid geklagt. Und er hat mir – ganz Gentleman – ein Makroobjektiv für eine Woche ausgeliehen. Heute bin ich durchaus auch froh, es wieder abgeben zu dürfen. Mir war nicht klar, dass gute Makrofotos so dermaßen harte Arbeit sind. Und da habe ich mich an nichts herangewagt, was gewagt hätte, sich zu bewegen. Außer den Wanzen, aber die waren gaaanz langsam. Richtig nah ran zwingt den Fotografierenden zur Langsamkeit. Zum aufmerksamsten Wahrnehmen kleinster Details. Zum Stillsitzen und Stillhalten. Eine schöne Übung für die eilige Frau Blume. Aber nun ist auch genug. Hier kommt mein Ausflug in den Mikrokosmos meines Gartens.

Erste Mahd

Gedichte

Zwischen Himmel und Acker
steht flatternd
die Lerche im Blau.
Ihr Jubelgesang rührt dich an.

Wenn auf den wüchsigen Wiesen
noch goldgelber Hahnenfuß leuchtet,
ruft er dir langhelle Tage auf,
die träge sind von großer Hitze
und Reife duften aus dem hohen Gras.

Du erinnerst Sternschnuppennächte
Rotwein, Küsse, Gelächter…

Verheißungsvoll kündigt im Mai
dir alles den Sommer an.
Sehnsüchtig erwarteter, glückseliger Sommer …

Wie viele hast du noch?
Das Verleibende in Sommern gezählt,
ergibt eine allzu überschaubare Zahl.

Bette dich unter den Lerchenhimmel,
belausche die Gräser beim Wachsen
und zähle die Blüten des Hahnenfuß.
Unten im Dorf beginnt schon
die erste Mahd.

Text & Foto: Sandra Blume, Mai 2017

Mauersegler

Gedichte

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schrillschreiende
sommerboten
zerschneiden wieder die himmel
über den trägen nachmittagen

im honiglicht
sitzen wir am fenster
und laden hoffnung
auf ihre sichelflügel

komm, sag ich: jubeln wir uns durchs blau
bodenkontakt ist nicht länger nötig
und schlafen können wir einfach im flug

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Mauersegler sind erstaunliche Vögel. Sie verbringen den größten Teil ihres Lebens in der Luft. Bis zu zehn Monate, ohne ein einziges Mal zu landen. Sie essen im Flug, sie lieben sich im Flug und sie schlafen sogar während sie fliegen.

Text & Foto: Sandra Blume

Anker in der Zeit

Fotos, Miniaturen

Dinge, die sich nicht ändern, sind wie Anker in der Zeit. Wie die Tauben auf dem Dachfirst des Waldhofes, die seit Jahr und Tag Morgensonne auf dem Gefieder haben. Wie der Waldhof selbst, wo der Großvater die Kühe zur Weide trieb, dann der Vater und nun der Sohn. Wie der Eichenhain, unweit meines Hauses, in dem ich früher schaukelnd und mit zerkratzten Wangen in den Ästen hing. Über viele Jahre versperrten weidende Hochlandrinder den Weg zu den Bäumen. Nun ist das Wäldchen wieder zugänglich. Wie einst stehen die alten Bäume unbeeindruckt im Fluss der Zeit. Nicht unverändert: dreißig Jahre sind selbst für Bäume eine kleine Ewigkeit und zwischen den mächtigen Stämmen recken nun auch die Toten ihre letzten Äste wie silberne Arme in den Himmel … Zwischen den Wurzeln schlummert immer noch Unrat, vor Jahrzehnten hingeworfen und nun halb versunken, halb verschlungen vom Grün. Was haben wir als Kinder da alles gefunden: Bunte Scherben, alte Flaschen, Töpfe und Pfannen. Nichts davon heil und doch alles gut genug noch für unser Spiel. Gegenüber die Löwenzahnwiese und der kleine Bach, aus dem wir Wasser zum Kochen in löchrige Töpfe schöpften. Alles noch da.
Dinge, die geblieben sind, haben etwas Beruhigendes, sind Heimat und Anker zugleich.

 

 

 

abschied ist ein stumpfes schwert

Gedichte

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abschied ist ein stumpfes schwert
wie lang schon hättest du ausholen,
zum schlag ansetzen müssen
wie lang aber bist du geblieben
hast überlegt, das schwert zu schärfen
hast die klinge geprüft
das rostende metall unterm verwundbaren finger
gefühlt und dich fürs hoffen entschieden
abschied ist: ab-scheiden,
ab-trennen, ab-schneiden,
liegen lassen und ohne dieses weiter gehen
ist: das vergangene vom jetzigen scheiden
und abgeschieden sein, von dem was war
das ist eine traurige sache
da lässt du das schwert lieber stumpf
und sägst nur ein bisschen
an den verhältnissen herum
dabei hätte, was du zurücklässt, gewicht
gewicht, um das du leichter wärst,
wenn du es nicht mehr tragen musst
leg es auf die waage
und dann komm:
nimm den wetzstein zur hand

© Text & Foto: Sandra Blume, Mai 2017

Von Händen, die Dinge bewahren

Fotos, Reisetagebuch

Es gibt Orte, die beinahe verloren gingen. Bis einer sie fand. Gefundene Orte, Found places wenn man so will, deren Verfall und Vergehen jemand Einhalt gebot. Schloss Herrenbreitungen, unter dem die Werra entlang glitzert, ist so ein Ort. Ich habe solche Hände, sagt der Schlossherr – als wir zum Sonnenuntergang in der westlichen Küche des Südflügels sitzen – die ziehen alte Dinge magisch an. Die Dinge kommen zu mir, damit ich sie bewahre. Nun bewahrt er ein ganzes Schloss. Und es ist voll von geschichtenerzählenden, alten Dingen. Wie das prallvolle Konservenregal, unten im Gewölbekeller. Dort steht Weckobst, über 50 Jahre schon im Glas, das aus der Haushaltsauflösung eines Bekannten stammt. Das konnte man doch nicht einfach wegwerfen. Was einst fleißige Hausfrauenhände liebevoll gepflückt, geputzt, geschnippelt und eingekocht hatten, darf nun in Würde verstauben und Besucher wie mich zurück in Kindertage und Großmutters Vorratskeller entführen.
Auch im sanierten Südflügel, wo die Hotelgäste in zauberhaften Gemächern residieren, findet man überall diese sanft glänzenden, alten Dinge. Auf Tischchen und Schränkchen, auf Treppensimsen, in Mauernischen und Bogenfenstern. Beinahe wie zufällig stehen sie da und sind doch mit Konzept drapiert – zumindest bis die Putzfrau durchkommt und ihren Plastikeimer dazwischen stellt. Beschwert sich schmunzelnd der Schlossherr. Eben hat er mir im letzten Abendlicht den noch weitgehend unsanierten Fürstenflügel gezeigt. Dort bin ich im letzten Sommer schon einmal heimlich herumgeschlichen. Als ich Gast war auf einer der zahlreichen Hochzeiten, die das Schloss an den Wochenenden mit Musik, Leben und Liebe füllen. Und da habe auch ich mich verliebt in dieses alte Gemäuer, das alten Dingen ein Zuhause gibt. Und sich trotz wachsender Wirtschaftlichkeit diesen Zauber des Unvollendeten, der sich im Stein erzählenden Geschichten, augenfällig bewahrt hat. Im Fürstenflügel waren nach dem Krieg Familien Heimatvertriebener untergebracht. An den Türen, von denen die Farbe blättert, stehen noch immer ihre mit Kreide angeschriebenen Familiennamen. Im blauen Turmzimmer, vor dessen Fenstern die Dohlen lärmen und wo der Putz von den Wänden platzt, würde der Schlossherr irgendwann gern selbst wohnen. Das ist ein Blau, sagt er, das findet man in keinem Baumarkt.
Das zarte Pastell erinnert mich an Vergissmeinnicht oder an glücklich verliebte Sommertage, als ich getanzt habe, drüben im Festsaal, über diesen alten, eingesunkenen Holzboden, auf dem die Möbel Seegang haben.
Vor dem Westfenster der Küche versinkt die Sonne langsam hinter der Werra im Wald. Der Schlossherr singt eine alte Weise dazu. Einfach so.
Ich betrachte seine Hände, die ein Schloss halten und tausend Geschichten dazu. Einfach so.

Der Leipziger Kunsthändler Martin Koenitz kaufte 2007 Schloss Herrenbreitungen, dass er Stein für Stein behutsam zu neuem Leben erweckt. Wer dort Feiern oder Übernachten möchte, findet unter www.schloss-breitungen.de alles Wissenswerte.
Text & Fotos: Sandra Blume, Mai 2017