Anker in der Zeit

Gedichte

Dinge, die sich nicht ändern,
sind wie Anker in der Zeit.
Wie die Tauben
auf dem Dachfirst des Waldhofes,
die seit Jahr und Tag
Morgensonne auf dem Gefieder haben.
Wie der Waldhof selbst,
wo der Großvater die Kühe zur Weide trieb,
dann der Vater
und nun der Sohn.

Dinge, die sich nicht ändern,
sind wie Anker in der Zeit.
An denen der Blick Halt findet,
an denen der Gedanke Halt findet,
im unablässigen Fortschritt,
der sich in Schichten
auf die Landschaft legt
und die Vertrautheit der Dinge
fremd überzieht.

Bis auch dieses Fremde
mit den Jahren
Gewohntes wird.
Während zugleich
die verlorenen Dinge noch immer
wie unsichtbare Löcher
in der erinnerten Gegend klaffen.

Vergangenes verschwindet
nie vollständig.
Es ruht nur verborgen
unter den Krusten
abgelaufener Zeit.

Die Kopfweiden am Weg,
der Kirchturm im Dorf,
die Tauben auf dem Dach
sind Gegenstand zahlloser Engramme –
wie Inschriften auf einem Stein
mir ins Gedächtnis geprägt –
sind Dinge, die sich nicht ändern,
sind Anker meiner Lebenswelt.

Text & Foto Sandra Blume

 

Ein Gedanke zu “Anker in der Zeit

  1. Eine poetische Antwort auf Dein so tiefsinniges Gedicht.
    Stille

    Leise ankert in Dir
    Vergangenes,
    während unter Deiner Haut
    in zarten Bewegungen
    Neues sich Bahn bricht.

    Nichts gilt in Dir
    verloren,
    alles feiert durch Dich
    zu seiner Zeit
    sein verwandelt Auferstehen.

    Stille –
    Du Mutmacherin
    am Saum des Lebens.

    © baH, 30.01.2019

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